In Stettin nach der Regatta

Datum:
11.08.2013

– Jetzt verstehe ich warum man eine Fahrradtour um die Welt unternimmt oder über Jahre zum Zelten wegbleibt.

Das sagte Galina, die Teilnehmerin der letzten Regatta-Etappe „The Tall Ships Races“, nachdem eine Dusche neben dem Anlegeplatz von der „Shtandart“ entdeckt wurde und alle sich waschen konnten. Während der Regatta wurden Wassersparmaßnahmen eingeführt. Man konnte sich entweder im kalten salzigen Wasser der Ostsee oder mit dem Wasser aus dem Feuerschlauch waschen. Oder unter dem Regen. Nach dieser Erfahrung kommt eine normale Dusche einem wie ein Wunder vor. Dabei bietet die „Shtandart“ sonst keine schlechten Bedingungen: es gibt leckeres Essen, Fernseher und Laptops, viel Platz und viel Trinkwasser.  


– Kannst Du Dir vorstellen, wie es den Teilnehmern von „Volvo Ocean Race“ gehen muss, die den Ozean auf kleinen Segelyachten überqueren? Sie haben irgendeine super leichte Nahrung, so wie Astronauten und sie putzen sich die Zähne mit Zahnbürsten, die einen verkürzten Griff haben, - somit kann man die Überladung vom Boot vermeiden,- erzählte Galja.




Die „Shtandart“ beendete die Regatta in Stettin und feierte mit anderen Teilnehmern ein dreitägiges Fest vom 3. bis zum 6. August. Feuerwerk, Parade und Crew- Party - das sind die üblichen Bestandteile eines Segelevents. Aber Stettinist es gelungen, alle Erwartungen zu übertreffen. 

Wie Sie bereits wissen, wird jedem Schiff bei jeder Regatta ein “liaison officer“ zugewiesen,- eine Person, die als Verbindung zwischen den Veranstaltern und Schiffsmannschaften agiert. Über unseren polnischen „liaison“ wurde bereits lange vor unserer Ankunft gesprochen. „Christophor ist ein toller Mensch, mit ihm ist es immer schön an Bord“; „Ein Alleinunterhalter, er ist wunderbar“. Als die„Shtandart“ endlich in Stettin anlegte, konnte man vom Ufer ein berühmtes Lied laut vorgesungen hören: „Wenn Sie nur wüssten, wie ich die Moskauer Abende liebe...“ Vor der Crew erschien ein Mann mit einem runden lächelnden Gesicht, der einen genauso rundes Brotleib in den Händen hielt.


 

– Christophor!!! - schrie man vor lauter Freude vom Schiff.
– Sei gegrüßt, liebes Schiffchen, seid alle gegrüßt! - sagte Christophor und blieb längere Zeit in Freundes-Umarmungen hängen.
– Sehr angenehm - Zar, - stellte er sich vor, - Christophor. Christophor Bonjifatjewitsch. Wie man ein Schiff benennt, so wird es fahren.



  
Es war in erster Linie Christophor, dem unser unvergesslicher Aufenthalt in Stettin zu verdanken war. Christoph bot uns Stadtführungen an, die tatsächlich interessant waren („Leute, falls euch Müdigkeit überfällt, sagt sofort Bescheid - wir gehen dann Bier trinken!“,- aber die Crew wollte statt Bier unbedingt den polnischen Kwas probieren.) Dank Christophor fiel die „Shtandart“ bei der Crew-Parade allen auf und die Atmosphäre in diesen wenigen Tagen war sehr herzlich. 


Die meisten Segelschiffe wurde nicht dafür gebaut, Wettrennen zu fahren oder komplizierte Manöver auszuführen. Viel wichtiger ist ein anderes Ziel: Herstellung und Pflege der internationalen Freundschaftsbeziehungen und kultureller Austausch. Dafür werden Paraden, Partys, sportliche und intellektuelle Wettbewerbe organisiert und Schiffe werden zur Besichtigung geöffnet. Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation - dass ist das Hauptziel der Regatta. Es kommen Touristen, Einheimische und Mannschaften anderer Schiffe an Bord der „Shtandart“. Unsere Lieblingsgäste sind Reenactors. In Stettin besuchten polnische Anhänger der Wikinger-Epoche das Schiff. Sie kamen zum Fest auf eigenen Wikinger-Booten und zelteten nebenan. Einer der Wikinger war besonders gesprächig: 

- Unser Kapitän hat das Boot mit Liebe gebaut und somit bekam das Schiff seine eigene lebendige Seele. Für den Kapitän war das Boot ein lebendes Wesen, eine Frau, eine Liebe. Hier in Stettin haben viele schöne, gute Schiffe angelegt. Aber wenn man auf ihr Schiff steigt, spürt man sofort, dass es etwas besonderes ist, dass es eine Seele hat. Der Grund dafür - eine besondere Beziehung zwischen dem Kapitän und dem Schiff.




Die Crew-Mitglieder von der „Shtandart“ haben viele Schiffe besichtigt, doch von zwei Schiffen waren sie besonders beeindruckt: vom schwedischen „Götheborg“ und arabischen „Shabab Oman“. Auf dem „Götheborg“ erhielten wir eine VIP - Führung ins Innere des Schiffes. Auf dem „Shabab Oman“ war man mit uns so freundlich, dass allen klar wurde, warum sie den Haupt-Preis der Regatta «Friendship Tropfy» bekommen haben.



Wenn kein Besuch an Bord war, so widmete man die freie Zeit der Reparaturarbeiten am Schiff: es wurde geputzt, repariert, geschrubbt, genäht...


Außerdem fand in Stettin ein für die „Shtandart“ wichtiges Ereignis statt: ans Schiff wurden Schmuck-Kränze gebracht. In der Beschreibung des Schiffes zu Zeiten Peters des I. findet man folgende Worte: „An den Bordwänden entlang werden die Kanonenpforten mit geschnitzten Kränzen, durchflochten mit Bänden, geschmückt“. Der Kapitän klärte uns über die Geschichte der Kränze der „Shtandart“ auf. 


-Früher war das ganze Schiff mit Kränzen geschmückt. Sie wurden aus Linde angefertigt, während eines sehr langen komplizierten Herstellungsprozesses, der zwei Jahre dauerte. Zwölf Jahre lang fuhr das Schiff dann mit den Kränzen. Einmal, als die „Shtandart“ für einen Film die Rolle des Schiffes von Willem Barenz spielte, musste man die Kränze abmachen - so eine prächtige Dekoration konnte es im 15. Jahrhundert nicht geben. Nach den Dreharbeiten erschien es als unmöglich die Kränze wieder aufzuhängen: sie waren alle vermodert. Deswegen fuhr das Schiff die letzten zwei Jahre ohne die Kränze. Während der letzten Saison fertigte unser Meister Sergei Alfeitsch samt seiner Aushilfen neue Kränze an: diesmal aus Eiche. Viele schwere Säcke musste man zu uns bringen und das hat ein mit uns befreundetes Segelschiff aus St. Petersburg transportiert. Die Kränze müssen nun geschliffen und lackiert werden, und nach all den Festen wieder angebracht werden.




… Am Land kann man sich duschen, in der Stadt spazieren gehen, mit anderen Schiffsmannschaften plaudern. Jeden Tag werden an Bord frische Brötchen geliefert.

Die „Shtandart“ liegt schon drei Tage lang im Hafen und die Crew fängt an, sich zu langweilen. Das Crewmitglied Mascha fragt: „Wie lange fährt man bis nach Rostock? Wie? Nur einen Tag? Ich würde so gerne länger auf See bleiben!“

Nun macht sich die „Shtandart“ wieder auf den Weg: von Polen nach Deutschland, nach Rostock.

Die „Shtandart“ sehnt sich nach dem Meer, als ob es dort Ruhe gäbe... (Ein berühmtes Gedicht von Lermontov „Segel“, 1832)


Elena Palenova